Der Klassikbogen: Die Konsolidierung des Streichbogenbaus in der klassischen Phase (spätes 18. und frühes 19. Jahrhundert)
Der Begriff „Klassikbogen“ umfasst zwar kein so weites Spektrum unterschiedlicher Bogentypen und baulicher Variationen wie der „Barockbogen“, ist als Terminus aber kaum weniger missverständlich, insofern er einen Kanon bestimmter Bautypen suggeriert, der gerade erst im Entstehen begriffen war. Sachlich angemessener ist daher die englische Bezeichnung „transitional bow“, denn die klassische Phase der Bogenbaugeschichte ist genau genommen eine kurze, an allen Seiten offene Epoche der Konsolidierung errungener Fortschritte.
Wie in der Barockzeit war es wiederum die Musik, von der die entscheidenden Impulse zur Weiterentwicklung des Geigenbogens ausgingen. Standen dabei im 17. und frühen 18. Jahrhundert die Anforderungen immer anspruchsvollerer, solistisch orientierter Kompositionen im Vordergrund, so rückte im späten 18. Jahrhundert die bürgerliche Konzertpraxis in den Míttelpunkt, die einen kräftigen, auch in großen Räumen tragenden Geigenklang verlangte. Die Geige hatte sich als Solo-Instrument etabliert, das auch in der Lage sein musste, größere Klangkörper wie ein symphonisches Orchester zu dominieren. Ganz dem erwachenden Interesse am Genie entsprechend orientierte sich die Musikwelt dieser Zeit an herausragenden Virtuosen, deren Spiel sich gerade durch eine facettenreiche Bogentechnik auszeichnete.
Hier ist an erster Stelle der Solist und Komponist Giovanni Battista Viotti (1755-1824) zu nennen, der als einer der Väter des modernen Violinspiels gilt und dessen Motto „Le violon – c‘est l‘archet!“ die Rolle des Bogens hervorhebt wie zuvor wohl nur Arcangelo Corelli. Unter dem Einfluss Viottis, aber auch anderer, bis heute legendärer Solisten wie Rodolphe Kreutzer (1766-1831) und Niccolò Paganini (1782-1840) fanden die entscheidenden Entwicklungsschritte statt, die schließlich vom Klassikbogen zum modernen Violinbogen führten: John Dodd (1752-1839) verbesserte die Bruchfestigkeit der Stange durch ein neues Verfahren der Holzspaltung; der Markneukirchener Bogenbauer Christian Wilhelm Knopf (1767-1837) erfand die Froschbahn aus Metall und eliminierte damit eine entscheidende Schwachstelle der barocken Schraubmechanik. Der sog. „Cramer-Bogen“ mit seinem charakteristischen, hohen und hammerförmigen Kopf, einer festen und konkav gebogenen Stange und Schraubfrosch wurde zum beliebtesten Bogen der großen Solisten – bis François Xavier Tourte den klassischen Bogenbau durch sein modernes Bogenmodell vollendete und mit ihm eine neue Epoche begründete.
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