Chinesische Geigen: Zeitgenössische Geigenbauer aus China und Taiwan

Die anderen chinesischen Geigen: Namhafte Meister im Schatten der Manufakturen. Ein Überblick exzellenter Geigenbauer aus China und Taiwan

Wer sind die besten Chinesischen Geigenbauer? Chinesische Geigenbauer stehen für gewöhnlich im Ruf der Fertigung preisgünstiger Einsteigerinstrumente, und tatsächlich gehört der industrielle chinesische Geigenbau zu den Branchen, in denen die Wirtschaft Chinas bemerkenswerte internationale Erfolge feiert. Parallelen etwa zum sächsischen Geigenbau des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind – obgleich sich die Geschichte nie wiederholt – unverkennbar. Wie die Manufakturen im Musikwinkel um Schönbach und Markneukirchen vor rund 100 Jahren, befinden sich die chinesischen Werke heute auf der Höhe ihres globalen Einflusses. Und auch in unserer Zeit sollte man über dem Gros einfacherer chinesischer Geigen nicht jene exzellenten Meister vergessen, die, oft als erfolgreiche Unternehmer und Lehrer, traditionelles Handwerk auf exzellentem Niveau pflegen. Es steht zu erwarten, dass taiwanesische Geigenbauer und chinesische Geigenbauer und Bogenbauer das Bild ihrer Kunst in den kommenden Jahren verändern werden, ganz ähnlich, wie es seinerzeit Persönlichkeiten vom Range eines Ernst Heinrich Roth und eines H. R. Pfretzschner gelang. In der folgenden Übersicht stellen wir die Namen, Leben und Werk herausragender Meister der neuen, fernöstlichen Geigenbauwelt vor.

Trotz ihres günstigen Preises haben chinesische Geigen in Bezug auf Qualität und Handwerkskunst in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Viele chinesische Geigen werden von erfahrenen Geigenbauern hergestellt, die in Markneukirchen oder Cremona ausgebildet wurden und hochwertige Instrumente in guter Handwerksqualität produzieren. Chinesische Hölzer und Materialien sind aufgrund ihrer Eigenschaften gut geeignet, um Instrumente herzustellen, die einen warmen und resonanten, süßen Klang aufweisen.

Chinesische Geige aus dem CV Selectio portfolio

Chinesische Geigenbauer portraitiert: 

Zheng Quan

Mit wenigen Grundkenntnissen der italienischen Sprache im Gepäck kam Zheng Quan 1983 an die Geigenbauschule in Cremona – als erster chinesischer Geigenbauschüler überhaupt. Handwerkliches Vorwissen brachte er indes durchaus mit, hatte er seine Kunst doch bereits am Musikforschungsinstitut in Peking unter Dai Hongxiang erlernt. Zheng Quan wurde 1950 in Shanghai geboren und begann als Fünfjähriger mit dem Geigenspiel. Seine Eltern fielen als Intellektuelle der systematischen Enteignung der Oberschicht während der Kulturrevolution zum Opfer, und so wurde auch dem jungen Zheng Quan seine Geige weggenommen. Im Rahmen der staatlich verordneten Umerziehungsprogramme war er gezwungen, sieben Jahre lang als Bauer in einem Dorf in der Provinz Anhui zu arbeiten. Gegen Ende der Revolutionszeit nahm man Zheng Quan als Geiger in ein kleines Musik- und Tanzensemble auf, in dem er durch seine Fähigkeiten beim Reparieren von Instrumenten auffiel; dies eröffnete ihm den Weg zu Dai Hongxiang und letztlich nach Norditalien, wo er bis 1988 blieb, um sein Können im Bereich des Baus und der Restauration von Streichinstrumenten zu verfeinern. Beseelt von dem Vorhaben, eine neue Generation exzellenter chinesischer Geigenbauer heranzubilden, übernahm Zheng Quan kurz darauf die Leitung des Instituts für Geigenbau und Geigenbauforschung am Zentralen Musikkonservatorium in Peking. Als Gewinner von über 20 Auszeichnungen in internationalen Wettbewerben – darunter ein erster Preis für Klang bei der Cremoneser Ente Triennale 1991 – und Präsident des Chinesischen Geigenbauerverbandes agierte Zheng Quan unter anderem als Initiator und Organisator der beiden bisher in Peking veranstalteten Internationalen Chinesischen Geigenbauwettbewerbe.

Ming-Jiang Zhu

Als Sohn zweier Buchhalter 1956 im südchinesischen Guangzhou geboren, wuchs Ming-Jiang Zhu auf, ohne jemals eine Violine gesehen zu haben. Auch der Ming-Jiang Zhu war von den staatlichen Umerziehungsprogrammen betroffen, und musste als Jugendlicher hart auf den Zuckerrohrfeldern in der Provinz Panyu arbeiten. Als 1976 die Geigenbauschule in Guangzhou ins Leben gerufen wurde, bewarb sich Ming-Jiang Zhu um einen Platz – in erster Linie, um der Landarbeit zu entgehen. Wegen seines Talents als Holzbildhauer wurde er als einer von nur 25 Schülern aufgenommen. In der Schule entdeckte Ming-Jiang Zhu, der ursprünglich Tischler wie sein Vater oder Maler werden wollte, unter der Anleitung der Geigenbaumeister Xu Fu und Liang Gouhui seine Begeisterung für den Geigenbau – und erwies sich erneut als überaus begabt. Nach dem Abschluss seiner Ausbildung gelangte der chinesische Geigenbauer Ming-Jiang Zhu an das Forschungsinstitut für Musikinstrumente in Guangzhou, wo er seine theoretischen und praktischen Geigenbaustudien fortsetzte. 1991 eröffnete er in einer Nebenstraße von Guangzhou seine eigene „Werkstatt“ – kaum mehr als ein Winkel seines 20 Quadratmeter großen Zuhauses –, aus der später die bis heute in der Stadt ansässige Firma „Noble Heart Violins, Ltd.“ werden sollte. 1986 nahm Ming-Jiang Zhu zum ersten Mal am Internationalen Geigenbauwettbewerb der VSA teil und erhielt für seine eingereichte Violine eine Ehrenurkunde für Handwerkskunst. Inzwischen kann er auf 19 Auszeichnungen bei der VSA Competition zurückblicken, darunter zwei Gold- und zwei Silbermedaillen. 2010 wurde Ming-Jiang Zhu als Juror für Handwerkskunst beim ersten Internationalen Chinesischen Geigenbauwettbewerb berufen. Ming-Jiang Zhu ist Vizepräsident der Geigenbauervereinigung in seiner Heimat und gehört seit 2008 zur Entente Internationale des Maîtres-luthiers et Archetiers d´art.

Gao Tong Tong

Gao Tong Tong ist der erste chinesische Geigenbauer, der jemals einen Preis beim bedeutenden Henryk Wieniawski Geigenbauwettbewerb in Posen gewann. Bereits seit Kindheitstagen mit dem Geigenspiel vertraut, erlernte Gao Tong Tong den Bau von Streichinstrumenten als junger Erwachsener. Nach seinem Abschluss am Zentralen Musikkonservatorium in Peking begab Gao Tong Tong sich an die Geigenbauschule in Cremona, um seine Fertigkeiten noch weiter zu verbessern. Parallel ging er in die Lehre bei dem Cremoneser Meister Giobatta Morassi, der Gao Tong Tong unter anderem das Rüstzeug für sehr gute Ergebnisse bei der Triennale sowie auch für den Erfolg in Posen mitgab – 1996 erreichte Gao Tong Tong dort den vierten Platz. Im selben Jahr kehrte er als chinesischer Geigenbauer nach China zurück und eröffnete 1998 seine eigene Werkstatt in Peking, wo er bis heute, gewissenhaft den Geigenbauprinzipien der alten italienischen Meister folgend, hochwertige Instrumente herstellt. 

Lin Dian-Wei

Seine erste Violine baute Lin Dian-wei in einer kleinen Garage auf einem einfachen Kartentisch, nach einer Anleitung aus einem Fachbuch über den Geigenbau. Heute führt der Taiwanesische Geigenbauer seine eigene Werkstatt im taiwanesischen Taichung und veranstaltet Geigenbau-Workshops, um die Weiterentwicklung des Handwerks in seinem Heimatland voranzubringen. Den Klang und die Form der Violine hat der studierte Biochemiker schon immer geliebt; als er 2002 die Holzverarbeitungs-Firma seines Vaters übernahm, begann er sich in seiner Freizeit auch in die Kunst des Geigenbaus zu vertiefen – in „die Krönung der Holzverarbeitung“, wie er sagt. Seiner Herkunft aus dieser Branche verdankte er sein umfangreiches Wissen über die verschiedenen Holzarten und deren Eigenschaften. Chinesische Geige von CV SelectioZusätzlich brachte er Kenntnisse in den Bereichen Mechanik, Physik und Chemie mit – Faktoren, die bei seiner Selbstausbildung zum Geigenbauer günstig zusammenwirkten. Ein Blog, in dem er über seine Erfahrungen als „Hobby-Luthier“ berichtete, machte ihn bekannt, und schon bald konnte er seine Werkstatt erweitern und sein Wissen an zwei erste Schüler weitergeben. Sein unermüdliches Streben nach Perfektion brachte ihm viele Ehrungen ein; der bislang größte Erfolg bestand in einer Nominierung beim Internationalen Geigenbauwettbewerb in Cremona.

David Lien

Seine Unzufriedenheit mit der verfügbaren Auswahl an Instrumenten war es, die den taiwanesischen Violinisten David Lien auf den Gedanken brachte, selbst Geigenbauer zu werden. Geboren 1961 in Keelung, einer Hafenstadt nahe Taipeh, studierte David Lien Musik in seinem Heimatland sowie ab 1988 am Franz Schubert Konservatorium in Wien. Als Mitglied des Taipei Symphony Orchestra und Dozent an verschiedenen Musikschulen suchte David Lien jahrelang nach dem für ihn perfekten Instrument, ohne es je zu finden. In einer Wiener Geigenbauwerkstatt ließ er sich darum in seiner Freizeit in die Tradition und die Techniken der Instrumentenbaukunst einführen. Nach weiteren eigenen Studien und intensiven Experimenten hatte David Lien es schließlich zu bewundernswerter Könnerschaft gebracht, sodass er 1997 die Manufaktur „Galaxias“ gründen konnte, die seit 2000 den Firmennamen „Lien Violins Instruments Ltd.“ trägt. In seiner Werkstatt in Taipei fertigt David Lien qualitätvolle Künstlergeigen. Mit seinen stets streng an den alten Cremoneser Geigenbauprinzipien orientierten Violinen erreichte er beachtliche Verkaufserfolge bei verschiedenen Instrumentenausstellungen, wie beispielsweise der „Cremona Mondomusica“, der Musikmesse in Frankfurt oder der „Music China“ in Shanghai. 

Chiao Chung-Hsing

Bereits in der High School stand für den 1959 in Keelung geborenen Chiao Chung-hsing fest, dass er eine Karriere als Sänger einschlagen würde. So studierte der chinesische Geigenbauer Chiao Chung-hsing bis 1986 Gesang am College of Arts in Taipei und begab sich anschließend nach Italien. Dort nahm sein Schicksal eine unerwartete Wendung: Chiao Chung-hsing zog sich eine schwere Verletzung zu, die es ihm unmöglich machte, weiter zu singen. Dafür aber kam er in Kontakt mit einem Mentor, der ihm den erfolgreichen Weg in den Geigenbau ebnen sollte: Francesco Bissolotti. Der Cremoneser Meister nahm Chiao Chung-hsing unter seine Fittiche, unterrichtete ihn in seiner Werkstatt und finanzierte ihm sogar eine von 1988 bis 1992 dauernde Ausbildung an der örtlichen Geigenbauschule. Dass Francesco Bissolotti Chiao Chung-hsing Potenzial richtig eingeschätzt hatte, erwies sich spätestens, als dieser 1991 beim Geigenbauwettbewerb in Cremona einen 16. Platz und 1992 bei der VSA Competition in Pennsylvania eine Silbermedaille für Ton erreichte. Mit 33 Jahren kehrte Chiao Chung-hsing in sein Heimatland zurück – bestrebt, seine taiwanesischen Kollegen an seinem großen Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen. Mittlerweile lehrt Chiao Chung-hsing an der National Taiwan University of Arts im Banqiao District der Stadt Neu-Taipeh und veranstaltet in seiner Werkstatt Geigenbaukurse für Interessierte aus allen Sparten. 

Shu Sheng Kot

Das Material für Shu Sheng Kots erste selbstgebaute Geige bestand aus den Einzelteilen eines auseinandermontierten Lehnstuhls und eines zerlegten Kaffeetisches. Der in Shanghai aufgewachsene chinesische Geigenbauer hatte als Jugendlicher die Aufnahme eines Violinkonzerts gehört und sich dabei so unsterblich in klassische Musik verliebt, dass er sich auf einer 14-Dollar-Fabrikvioline selbst das Geigenspiel beibrachte. Die eingeschränkten klanglichen Möglichkeiten dieses Instruments stellten ihn jedoch bald nicht mehr zufrieden – und seine aus ehemaligen Möbeln gefertigte eigene Geige wurde zum Ausgangspunkt einer beachtlichen Karriere. Wie einige seiner chinesischen Kollegen dieser Generation musste auch Shu Sheng Kot nach Abschluss der High School mehrere Jahre lang Landarbeit verrichten. Doch während er auf den Reisfeldern der Provinz Yunnan seine Pflicht tat, baute Shu Sheng Kot weiterhin – nach Anleitungen aus Büchern – Violinen und Geigenbögen, die er auch erfolgreich im Land verkaufen konnte. Schließlich erhielt Shu Sheng Kot die Chance, nach Sydney zu ziehen, wo er unter anderem als Restaurator für das Sydney Symphony Orchestra arbeitete. Von dort aus gelangte er, ohne ein Wort Italienisch zu sprechen, zu Pierangelo Balzarini und Alessandro Voltini nach Cremona, die ihn weiter ausbildeten, bevor er 1991 seine erste Werkstatt in Philadelphia eröffnete. Heute führt er das Unternehmen „Kot´s Violins“ in Bryn Mawr und stellt unter anderem Instrumente und Bögen für die Mitglieder des Philadelphia Orchestra her. Zu Shu Sheng Kots zahlreichen Auszeichnungen zählen eine Urkunde für Handwerkskunst für eine Violine sowie mehrere Goldmedaillen für Bögen bei verschiedenen Wettbewerben der VSA, die „Walter-Stauffer“-Goldmedaille für besondere akustische Qualitäten einer Violine bei der Cremoneser Ente Triennale 1991 und eine Goldmedaille für einen Geigenbogen beim Internationalen Geigenbauwettbewerb in Mittenwald 2010. 

Feng Jiang

Feng Jiang erlernte die Kunst des Geigenbaus bei seinem Vater in Peking; sein erstes Instrument fertigte er als Jugendlicher im Jahr 1989. Ende der 1990er Jahre kam Feng Jiang zu William Harris Lee in Chicago und später zu „Alf Studios“ in Ann Arbour, Michigan, wo er auch heute noch lebt und wirkt. Feng Jiangs Arbeiten sind bei internationalen Ausstellungen zu bewundern, u. a. bei den „Klanggestalten“ in Berlin. Feng Jiang ist Mitglied der Violin Society of America und der American Federation of Violin and Bow Makers. Bei mehreren Wettbewerben der VSA erreichte Feng Jiang mit seinen eingereichten Violinen und Bratschen Gold- und Silbermedaillen. Auch am Wettbewerb der British Violin Making Association im Jahr 2004 nahm er mit großem Erfolg teil.

 

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