In der Frühzeit des italienischen Geigenbaus kam den Geigenbauern und der Musikkultur von Brescia eine Bedeutung zu, die dem heute ungleich prominenteren Cremona mindestens ebenbürtig war. Zwar wurde „die“ Geige nicht von Gasparo da Salò – einem der besten und einflussreichsten Meister seiner Zunft in dieser Stadt – „erfunden“, wie die frühere Forschung annahm. Dass aber sowohl er als auch viele seiner Zeitgenossen und Vorgänger an den entscheidenden Schritten dieser musikalischen Revolution beteiligt waren, steht außer Frage – wenn ihr jeweiliger Beitrag auch im Einzelnen oft nur ansatzweise nachvollzogen werden kann.
Übersicht:
- Die frühesten Geigenbauer von Brescia
- Der klassische Geigenbau in Brescia: Gasparo da Salò – G. P. Maggini – Giovanni Battista Rogeri und Pietro Giacomo Rogeri
- Giuseppe und Stefano Scarampella
Die frühesten Geigenbauer von Brescia
Wie in vielen anderen historischen Geigenbauzentren kennt auch Brescia eine Gründerfigur, deren Existenz nicht sicher belegt ist und deren Geschichte wenigstens teilweise ins Reich des Mythos gehört. Die Rede ist von Giovanni Kerlino, dem weit ins 15. Jahrhundert datierte Instrumente zugeschrieben wurden – die aber heute nicht mehr erhalten sind und mit größter Wahrscheinlichkeit Fälschungen des 18. bzw. 19. Jahrhunderts waren. Reiche Spekulationen ranken sich auch um seinen Namen, aus dem findige Historiker mal eine bretonische, mal eine deutsche Herkunft destilliert haben – um mit ihm nicht weniger als die Erfindung der Geige an sich für die jeweils eigene Nationalität reklamieren zu können.
Nicht zu bezweifeln ist dagegen die Existenz von Geigenbauern wie Giovan Giacobo dalla Corna (1484 – ca. 1560) und Zanetto Micheli (ca. 1489–1561) als Vertreter der ältesten greifbaren Generation ihrer Zunft in Brescia; auf sie folgten Pellegrino Micheli (ca. 1520 – ca. 1609), der Sohn Zanetto Michelis, sowie Battista Doneda (ca. 1529–1610), Girolamo Virchi (1523 – ca. 1588) und schließlich der große Gasparo da Salò (ca. 1540–1609). Dass von diesen Meistern keine bzw. nur wenige Instrumente überliefert sind – mit einer gewissen Ausnahme bei Zanetto und Pellegrino Micheli – verstärkt die bereits erwähnte Fokussierung auf das Werk da Salòs und die Überbewertung seines persönlichen Anteils an der Entwicklung der Violine.
Der klassische Geigenbau in Brescia: Gasparo da Salò – G. P. Maggini – Giovanni Battista Rogeri und Pietro Giacomo Rogeri
Gasparo Bertolotti, genannt Gasparo da Salò, wurde in Polpenazze bei Salò am Lago di Garda geboren. Er erhielt wahrscheinlich bei Mitgliedern seiner Familie eine musikalische Grundausbildung – und erlernte vielleicht sogar die Grundlagen des Instrumentenbaus bei seinem Großvater. Ab 1562 lebte er in Brescia und schloss Freundschaft mit Girolamo Virchi, von dem er offenbar tiefer in die Geheimnisse des Geigenbaus eingeführt wurde. Soweit die erhaltenen Instrumente Rückschlüsse auf seine handwerkliche Entwicklung zulassen, stellen sie einen talentierten, zunächst aber weitgehend ungebildeten und zupackend handelnden liutaio vor, der keine Scheu vor ästhetischen Zugeständnissen hatte, die Bedingungen des guten Geigenklanges aber rasch durchdrang und mit dem Wachsen seiner persönlichen Fähigkeiten nicht weniger als grundlegende Definitionen des im Entstehen begriffenen Violintyps leistete. Über die historische Bedeutung seines Gesamtwerks hinaus finden vor allem die Bratschen und die Kontrabässe bis heute hohe Anerkennung für ihre musikalische Qualität – und als reich verziertes Einzelstück ging die von Ole Bull hingebungsvoll verehrte „Schatzkammergeige“ in die Musikgeschichte ein.
Doch nicht nur durch seine eigenen Arbeiten hat sich da Gasparo da Salò den Ruf erworben, zu den maßgeblichen Begründern der Geigenbauschule von Brescia zu gehören, die bis zum Aufstieg Antonio Stradivaris mindestens so einflussreich war wie die noch junge Cremoneser Tradition. So ist in Bezug auf die Wirkung von Gasparo da Salò an erster Stelle der Name Giovanni Paolo Maggini (1580–1632) zu nennen, der 1580 in der Nähe von Brescia geboren wurde und als kaum achtjähriger Knabe in die zehn Jahre zuvor gegründete Werkstatt des inzwischen äußerst erfolgreichen und wohlhabenden da Salò kam. Dort sollte er bis in sein 21. Lebensjahr bleiben und eine exzellente Ausbildung erhalten, nach der er nicht nur seine berühmten, überreich dekorierten Meisterleistungen der Schnitz- und Intarsienkunst schaffen, sondern auch wesentliche Verbesserungen des Geigenmodells erreichen sollte, für deren Wirkung auf die klassischen Meister im konkurrierenden Cremona mehr als nur Indizien sprechen.
Für diese durchaus enge Beziehung zwischen den beiden Geigenbaustädten, deren Gegensatz in der Literatur gern stärker dargestellt wird als er historisch vermutlich war, steht in besonderer Weise Giovanni Battista Rogeri (ca. 1642 – ca. 1710), ein Schüler von Nicolò Amati in Cremona, der sich 1664 in Brescia niederließ. Gemeinsam mit seinem Sohn Pietro Giacomo Rogeri (1665–1724) schuf er großartige Instrumente, die rückblickend wie ein Nachhall der Gründungsjahre des Brescianer Geigenbaus wirken, bevor sich die Musikwelt endgültig Cremona zuwandte und Brescia als Geigenbaustadt weitgehend vergaß.
Giuseppe und Stefano Scarampella
Und tatsächlich sollte es mehr als 100 Jahre dauern, bis in Brescia wieder eine Geigenbauerfamilie entstehen sollte, die einen prominenten Rang in der Geschichte der Violine beansprucht. Sie wurde von Paolo Scarampella (1803–1870) gegründet, einem Zimmermann, der bei einem unbekannten Meister – vielleicht sogar autodidaktisch – den Geigenbau erlernt hatte und ihn mit großer Hingabe und bemerkenswertem Erfolg betrieb. Zu seinem vielseitigen Œuvre gehören Geigen, Bratschen, Gitarren und Mandolinen – und Violoncelli, unter denen sich seine am besten gelungenen Arbeiten finden.
Paolo brachte seinem älteren Sohn Giuseppe Scarampella (1838–1885) die Grundlagen des Geigenbaus bei, die er als Lehrling von Nicolò Bianchi verfeinerte. Bei Bianchi reifte er zu einem interessanten Vertreter der Genueser Schule, doch gelangte er nach einem kurzen Aufenthalt in Paris in die Florentiner Werkstatt von Luigi Castellani und wurde schließlich Konservator des Istituto Musicale in Florenz.
Doch hinterließ Giuseppe nicht nur bleibende Spuren als Geigenbauer, sondern auch als Lehrer, im Werk seines Bruders Stefano Scarampella (1843–1927), den er ab ca. 1890 ausbildete. Stefano war zunächst wie sein Vater Zimmermann geworden und schuf in der kurzen Zeit zwischen 1902 und 1915 einen Großteil seines umfangreichen Werkes, das neben den klassischen Vorbildern Stradivari und Guarneri besonders von Balestrieri beeinflusst war – einem Exponenten der Schule von Mantova, wo sich Stefano niedergelassen hatte und als Lehrer von Gaetano Gadda diesen bemerkenswerten Geigenbauer und seinen Sohn Mario Gadda nachhaltig beeinflussen sollte.