Der Geigenbau in Rom - Geschichte des römischen Geigenbaus seit dem 16. Jahrhundert

Rom, über Jahrhunderte das Zentrum der Welt, spielt in der Geschichte des Geigenbaus eine erstaunlich nachrangige Rolle. Welche Rückschlüsse sich aus dieser Beobachtung aber auf das Musikleben der „ewigen Stadt“ im Zeitalter der Geige ziehen lassen, ist eine keineswegs leicht zu beantwortende Frage. Giulio Cesare Gigli Rom

Übersicht:

 

Insbesondere aus der Frühzeit des Geigenbaus im späten 16. Jahrhundert, aber auch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts sind der Forschung nur wenige römische Geigenbauer bekannt; unter ihnen befinden sich kaum herausragende Meister und Schulbildungen, selbst im familiären Kontext, sind überaus selten. Ob die konservative Haltung der katholischen Kirche im Nachgang des Konzils von Trient für den offenkundig geringen Bedarf an hochrangigen Geigenbauerleistungen im Kirchenstaat verantwortlich zu machen ist, dürfte eine einigermaßen spekulative These sein. Wahrscheinlicher ist, dass Cremona und Brescia, die wichtigsten Geigenbauzentren Norditaliens, nach ihrem frühen Aufstieg den italienischen Markt dominierten – und den Zunftgenossen von Nicolò Amati und Antonio Stradivari selbst in Rom wenig mehr zu tun blieb als importierte Violinen zu warten und zu reparieren.

Die Anfänge des Geigenbaus in Rom

Der erste historisch greifbare Geigenbauer Roms ist der aus Genua stammende Orazio di Giovanni Filippo, der, ohne Nennung eines Familiennamens, im Jahr 1554 als liutaio in einer Gerichtsakte erwähnt wird. Wegen der bekannten Unschärfe dieser Berufsbezeichnung bleibt jedoch unklar, ob Orazio überhaupt Streichinstrumente oder ausschließlich Zupfinstrumente gebaut hat.

Wie Orazio di Giovanni Filippo dürften wohl die meisten römischen liutai des 16. und auch des 17. Jahrhunderts von außerhalb nach Rom gekommen sein, z. B. Paolo Albani (1633–1680) der, aus Palermo stammend, wahrscheinlich bei Nicolò Amati die Kunst des Geigenbaus erlernt hat und als einer der besten seiner Generation gilt. Autochthone Lehrer-Schüler-Beziehungen sind in dieser Phase der römischen Geigenbaugeschichte nicht ersichtlich, und Ansätze einer „römischen Schule“ lassen sich erst später und in vergleichsweise geringem Maß erkennen.

Die „römische Schule“ um David Tecchler

So ist David Tecchler (ca. 1666–1747) die Persönlichkeit des älteren römischen Geigenbaus, der mit Recht schulbildender Einfluss zugesprochen werden kann – und der mit seinem an Cremoneser Vorbildern orientierten Werk, das zugleich eine Inspiration durch Jakob Stainer erkennen lässt, eine eigenständige, historische Leistung erbracht hat. Insbesondere seine Celli sind auch unter heutigen Spitzenmusikern äußerst beliebt, wenn auch nur wenige Instrumente in ihrem ursprünglichen, sehr groß dimensioniertem Modell erhalten geblieben sind.

Auch wenn es an historisch gesicherten Erkenntnissen zur Familie und zu Lehrlingen David Tecchlers mangelt, ist seine Wirkung doch in den Arbeiten der folgenden Geigenbauer-Generation klar nachzuvollziehen. Eine „römische Schule“, die im engeren Sinn als eine „Tecchler-Schule“ zu begreifen ist, zeigt sich etwa bei Giulio Cesare Gigli (ca. 1724–1794), der das Modell David Tecchlers mit einer etwas höheren Wölbung interpretierte und ebenfalls der Musikwelt exzellente Celli hinterlassen hat. Eine ähnliche Ausrichtung ist neben dem wohl aus Deutschland stammenden Giorgio Tanigardi (Taningard, vor 1750) bei Giglis Onkel Michael Platner (gest. 1750) zu erkennen, der, anders als in der früheren Forschung angenommen, offenbar kein Tecchler-Schüler war, sondern in der Werkstatt seines Vaters ausgebildet wurde; er gehört damit zur zweiten oder dritten Generation jener zugewanderten Geigenbauer gehörte, die sich in Rom nachhaltig etablieren konnten. Ob dasselbe auch für Antonio Pollusca gilt, dessen familiäre Wurzeln vermutlich in Böhmen zu suchen sind, muss offen bleiben, doch gehört auch er zu den hervorragenden Vertretern der römischen Schule um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Seine besonders intime Kenntnis des Tecchler-Modells legt eine persönliche Beziehung zu dessen Werkstatt nahe.

Weitere historische römische Geigenbauer

Internationale Zuwanderer bleiben charakteristisch für den römischen Geigenbau, der im 18. Jahrhundert einen deutlichen Aufschwung erfährt und in eine differenziertere Phase seiner Entwicklung eintritt. Während der konstante Zuzug aus deutschsprachigen Ländern unvermindert angehalten haben dürfte, finden sich nun auch Spuren von Meistern aus weiteren europäischen Ländern. Für sie seien exemplarisch der Engländer oder Ire Patrik Harford (Patritius) genannt, der um 1742 in Rom wirkte, und Jacob Horil, dessen Name auf eine Herkunft aus Böhmen schließen lässt. Er arbeitete zunächst in Wien und kam um 1740 nach Rom, wo er seine hochwertigen, vom Stil der Tecchler-Schule erstaunlich unbeeindruckten Instrumente mit offenkundigem Erfolg platzieren konnte.

Unter den interessanten Entdeckungen, die die römische Geigenbaugeschichte bereithält, verdient nicht zuletzt die Familie Politi besondere Erwähnung, die zu den wenigen Geigenbauer-Dynastien Roms gehört. Ihr Gründer ist Eugenio Politi (1853–1909), ein Schüler des großen Enrico Ceruti, der den Stil seines Meisters so gut zu imitieren verstand, dass nicht wenige seiner Arbeiten von Instrumentenhändlern mit gefälschten Ceruti-Zetteln verkauft wurden. Größter Wertschätzung erfreuen sich auch die Instrumente seines Sohnes Enrico Politi (1885–1979), der sich in seinem persönlichen Modell eher von Guarneri beeinflusst zeigt und ein Mitarbeiter Giuseppe Fiorinis war. Auch Enricos 1913 geborener Sohn Raoul wurde in der Lehre bei seinem Vater zu einem versierten und erfolgreichen Geigenbauer, nachdem er zunächst eine Karriere als Violinist angestrebt hatte. Sein Onkel Fernando Politi (1882–1928) zog nach der Ausbildung bei seinem Vater Eugenio nach Turin und gehört damit zu den wenigen bekannten Geigenbauern, die ein Stück römischer Geigenbautradition über die Stadtgrenzen hinaus getragen haben.

Der prominenteste Vertreter dieser „Auswanderer“ ist ohne jeden Zweifel Simone Fernando Sacconi (1895–1974), der als Mitarbeiter von Rembert Wurlitzer in New York zahllose erstklassige Meister in den U.S.A. und vielen anderen Ländern ausbildete und inspirierte. Durch seinen Lehrer Giuseppe Rossi (1869–1954) stand Sacconi in der venezianischen Tradition von Eugenio Degani und entwickelte sich zu einem der führenden Restauratoren und Lack-Spezialisten seiner Generation.

Eine gewisse Strahlkraft entfaltete der römische Geigenbau weiterhin durch Rodolfo Fredi (1861–1950), der die Kunst des Geigenbaus bei seinem aus Perugia stammenden Vater Fabio Fredi erlernte. Zuvor hatte Rodolfo ein Violinstudium absolviert und war von1875 bis 1900 selbst Professor für Geige. Ab 1885 fertigte in seiner eigenen Werkstatt rund 450 Violinen, 70 Bratschen und 50 Celli, unterstützt von seinen Schülern Giuseppe Giacchetti und Vittorio Bellarosa, die selbst zu hochgeschätzten, international erfolgreichen Meistern werden sollten. Ab 1920 widmete sich Fredi, der für seine Streichinstrumente zahlreiche Auszeichnungen erhielt und viele Jahre dem Berufsverband vorstand, auch dem Klavier- und Orgelbau.

Geigenbauer in Rom heute – zeitgenössische Meister

Der Geigenbau in Rom war von seinen frühesten Anfängen an international und zog Meister aus allen bedeutenden Geigenbauregionen Europas an. Auch im 20. Jahrhundert und in der Gegenwart prägen Verbindungen die Szene, die über die Grenzen der „ewigen Stadt“ hinausreichen.

In diesem Sinne stehen Meister wie Giuseppe Lucci (1910–1991) für die enge Bindung Roms an die anderen bedeutenden Schulen des italienischen Geigenbaus, konkret an die Sphäre der Werkstatt von Leandro Bisiach in Mailand, zu der Luccis Lehrer Pietro Borghi über den Großteil seiner Laufbahn gehört hatte. Heute führt Rodolfo Marchini (1943–) das Atelier seines Lehrers Giuseppe Lucci und gibt mit seinen Arbeiten nach Stradivari und Guarneri, die international höchst gefragt sind und zahlreiche Auszeichnungen erhalten haben, ein aussagekräftiges Zeugnis für das Niveau des zeitgenössischen Geigenbaus in Rom.

Den weltweiten Einfluss der neuen Schule von Cremona repräsentiert der Schweizer Michel Eggimann, der sich 2007 in Rom niederließ und schon durch seinen Lehrer Philippe Girardin in Neuchâtel eng mit dem sprichwörtlichen Zentrum des klassischen italienischen Geigenbaus verbunden ist. Wie Girardin besuchte Eggimann die Cremoneser Geigenbauschule und studierte bei Vincenzo Bissolotti, um sich anschließend als Mitarbeiter des gerade gegründeten Projekts von Joseph Curtin und Gregg T. Alf vertieft den Meisterwerken Stradivaris und Guarneris zu widmen. Mehrfach ausgezeichnet für seine brillanten Guarneri-Nachbauten und Restaurationen hat er mehr als 300 Spitzeninstrumente für international bekannte Solisten und Ensembles geschaffen.

Auch für Mathias Menanteau ist Cremona eine wichtige Station auf seinem Weg nach Rom, doch begann er seine Laufbahn in England mit einer dreijährigen Ausbildung an der renommierten Newark School of Violin Making; anschließend studierte er 5 Jahre lang Restaurierung in der Berliner Werkstatt Anton Pilar, die in der modernen Tradition der Prager Geigenbauerfamilie Špidlen steht. Nach Praktika in Paris und New York sowie bei Eric Blot in Cremona – der zu den weltweit führenden Experten für italienischen Geigenbau gehört – eröffnete Menanteau im Jahr 2010 seine Werkstatt in der Nähe des Kolosseums und arbeitet seit 2014 in der Via di Santa Maggiore.

Als sprichwörtliche Ausnahme zur internationalen Regel mag für den römischen Geigenbau Giorgio Corsini gelten, der, 1913 in Tivoli geboren, zunächst an der Accademia di Santa Cecilia Violine studierte und sich erst spät dem Geigenbau zuwandte. Mit einem überschaubaren, aber von einer individuellen künstlerischen Handschrift geprägten Gesamtwerk hat er sich hohe internationale Anerkennung erworben, nicht zuletzt für seine exzellente Lackarbeit und für seine außergewöhnliche Begabung als Restaurator.