Die Entstehung der Geige und der Violin-Familie der Streichinstrumente
Die Geschichte der Geige gibt der Forschung eine Reihe von Rätseln auf, zu denen an erster Stelle die Entstehung der zur Violin-Familie gehörenden Instrumente Violine, Viola, Violoncello und – mit gewissen systematischen Einschränkungen – Kontrabass gehört. Wie genau verlief die Entwicklung von mittelalterlichen Streichinstrumenten wie der Fidel, dem Rebec, der Giga, dem Crwth und dem Trumscheit zur Viola da Braccio?
Aus welchen Gründen und über welche Zwischenstufen entstand schließlich die Barockgeige, mit der im Brescia der Zeit von Gasparo da Salò und schließlich in den Cremoneser Werkstätten der Familien Amati, Stradivari und Guarneri jener Standard definiert wurde, der in den folgenden Jahrhunderten nur noch in Details verändert werden sollte? Obwohl die Wissenschaft bislang viele interessante Details jener für die abendländische Musik so wichtigen Epoche der Geigenbaugeschichte gefunden hat, ist eine lückenlose Darstellung der Geschichte der Geige immer noch ein Desiderat – und wird es wohl auch bleiben, denn es ist nicht zu erwarten, dass noch Instrumente aus jener Übergangszeit oder Aufzeichnungen maßgeblicher Geigenbauer gefunden werden.
Übersicht:
- Die Entstehung der Geige und der Violin-Familie
- Der Siegeszug der Violine durch die europäische Musikkultur
- Von der Barockgeige zur modernen Violine
- Geigenbau zwischen Tradition und Industrie
- Die E-Geige als jüngste Innovation der Geigenbaugeschichte
Der Siegeszug der Violine durch die europäische Musikkultur
Sicher ist, dass die Geige nach ihrer „Erfindung“ in vergleichsweise kurzer Zeit von Oberitalien aus die höfische Musikkultur Mitteleuropas eroberte, zumeist in den Händen italienischer Musiker, deren Kunst den Bedarf an jenen faszinierenden neuen Instrumenten weckte und Instrumentenbauer entlang ihres Weges anregte, das neue Modell nachzuahmen. So entstanden regionale Geigenbauschulen wie die sächsische Hopf-Violine oder die alemannischen Geigen, aber auch eigenständige Traditionen wie die Stainer-Geige, die sich einer denkbar großen Verbreitung und eines lang andauernden, stilprägenden Einflusses erfreuen konnte.
Von der Barockgeige zur modernen Violine
Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert kam es schließlich zur vorläufig letzten grundlegenderen Weiterentwicklung der Geige, als die veränderte Konzertpraxis die Entstehung der modernen Violine anregte – als ein Instrument, das in seinen wesentlichen Elementen immer noch den klassischen Vorbildern der frühen Barockgeigenkunst von Cremona verpflichtet war, sich aber durch einen stärkeren und tragenderen Klang auszeichnete. Wie machtvoll die Wirkung des überlieferten Modells bei aller handwerklichen Innovation anhielt lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass in dieser Epoche die meisten erhaltenen Barockgeigen modernisiert wurden und auch modernisiert werden konnten – in einem Akt, der historische Wertschätzung und Zerstörung virtuos verband.
Geigenbau zwischen Tradition und Industrie
Das moderne Geigenmodell differenzierte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts u. a. im italienischen, französischen, deutschen und englischen Geigenbau weiter aus und war von Anfang an eng mit der arbeitsteiligen Produktion im sog. Verlagswesen sowie Serienfertigung in Manufakturen und Industriebetrieben verbunden, die den im 19. Jahrhundert explosionsartig wachsenden globalen Bedarf bedienten; eine Rolle, die im späten 20. Jahrhundert weitgehend von chinesischen Unternehmen übernommen wurde. Wenngleich die Unterschiede zwischen klassisch-handwerklich gebauten Meistergeigen und „Massenprodukten“ offenkundig sind, erscheint es doch unangebracht, den industriellen Geigenbau als eine Erscheinung des Niedergangs traditioneller Musikkultur zu betrachten. Zum einen erreichte die Produktion der großen, global agierenden Unternehmen wie J. T. L. in Mirecourt, Schuster & Co. in Markneukirchen oder Neuner & Hornsteiner in Mittenwald rasch ein mehr als respektables Niveau, das auch gehobene musikalische Anforderungen mit passenden Produktlinien zu bedienen wusste; zum anderen fungierten eben diese Häuser als Inkubatoren ganzer Generationen von exzellenten Geigenbauern, die ihre Ausbildung hinter ihren Werkstoren durchliefen, um später zu erfolgreichen Schöpfern hochwertiger Meisterarbeiten zu reifen.
Die E-Geige als jüngste Innovation der Geigenbaugeschichte
Das jüngste Kapitel in der Geschichte der Geige markiert die Erfindung der elektrisch verstärkten Violine (E-Geige), die aber im Unterschied zur Barockgeige oder zur modernen Violine ihre Vorgängermodelle nicht verdrängt hat, sondern eine stetig wachsende Nische musikalischer Anwendungen insbesondere in der Unterhaltungsmusik bedient.
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