Jan Baptista Špidlen ist einer der meistbeschäftigten und erfolgreichsten Geigenbauer –
eine Prager Familiengeschichte zwischen Kunst und Sport
Innovation und Avantgarde sind in vielen Sparten der Kunst und auch des Kunsthandwerks ein selbstverständlicher Anspruch – im Geigenbau spielt diese Erwartung hingegen eher eine untergeordnete Rolle. Selbst in der Werkstatt des weltbekannten Prager Geigenbaumeisters Jan Špidlen bilden ungewöhnliche Aufträge eher die Ausnahme als die Regel. Dabei würde es Jan Babtista Špidlen, wie er verrät, an neuen und gewagten Ideen keineswegs mangeln; aber die Menge an Bestellungen hochwertiger, traditionell gebauter Instrumente ist im Normalfall so groß, dass ihm kaum Zeit bleibt für künstlerisch progressivere Projekte.
Übersicht:
Eine prominente Sonderstellung in seinem Schaffen nimmt deshalb jene originelle Geige ein, die schon durch ihre extravagante Lackierung für einiges Aufsehen sorgte: Jan Špidlen „Blaue Violine“, gebaut für den tschechischen Virtuosen Pavel Šporcl. Bei ihrer Gestaltung beschränkte sich Jan Špidlen jedoch nicht auf die außergewöhnliche Farbgebung, sondern versah das Instrument auch mit baulichen Besonderheiten zur Klangoptimierung und Stabilisierung, unter anderem mit einer in den Hals eingearbeiteten Titanschraube und einer Carbonfaser-Verstärkung des Bassbalkens. In Fachkreisen, so etwa bei der VSA Innovation Exposition 2006, erntete Jan Špidlen für diese Errungenschaften viel Lob.
Geigenbauer František Špidlen – Otakar Špidlen
Die väterliche Werkstatt führt Jan Špidlen bereits in vierter Generation. Sein Urgroßvater František Špidlen war zunächst in Kiew als Geigenbauer tätig, von 1910 an in Prag. Auf ihn folgte sein Sohn Otakar Špidlen, der sich schon bald großes Renommee als talentierter Geigenbauer sowie gefragter Händler und Experte erwarb. Leider sollten die politischen Veränderungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg über das Land hereinbrachen, zu einer ernsthaften Bedrohung für Otakar Spidlens selbständige Existenz werden: Das kommunistische Regime, das 1948 die Macht übernahm, verbot privat geführte Unternehmen. Otakar Spidlens Haus und Werkstatt, die sich nunmehr in der Jungmannstraße befanden, wurden konfisziert. Als Reaktion darauf bemühte er sich Otakar Spidlen zusammen mit Gleichgesinnten um die Gründung eines Kreises künstlerischer Geigenbauer, hatten doch Künstler die Möglichkeit, ihre Berufe weiterhin unabhängig auszuüben. Dieser Rückzug in den Schutzraum Werkstatt zum Zwecke der weitgehend unbehelligten Kunstausübung bildete für die Špidlens eine Chance, die sich bei Weitem nicht überall bot: Im keine 200 Kilometer entfernten und ehemals wirtschaftlich starken, durch den Krieg aber auseinandergerissenen böhmisch-sächsischen Geigenbauzentrum Schönbach/Markneukirchen wirkte sich der sozialistische Industrialisierungs- und Kollektivierungsterror flächendeckend aus.
Geigenbauer Premysl Špidlen
Letztlich war es Otokars Sohn Premsyl Špidlen, der die künstlerische Geigenbauervereinigung nach dem Tode seines Vaters 1958 mitbegründete. Auch Premsyl Spidlen sollte als hervorragender Geigenbauer in die Geschichte eingehen, wenn er auch zunächst Geige am Prager Konservatorium studierte und – nota bene – von 1946 bis 1948 als Skiläufer zum tschechischen Nationalteam gehörte. Beide Leidenschaften gab Premsyl Spidlen übrigens – zusammen mit dem geigenbauerischen Geschick – an Jan Špidlen weiter. So war Letzterer von 1983 bis 1984 Mitglied des nationalen Windsurfingteams und galt darüber hinaus während der 90er Jahre als eines der tschechischen Top-Snowboarding-Talente.
Geigenbauer Jan Spidlen
Seine erste Violine baute Jan Spidlen als Mittelschüler; sie wurde daraufhin von keinem Geringeren als dem weltberühmten Geiger Josef Suk gespielt. Nach seiner Ausbildung an der Geigenbauschule in Mittenwald arbeitete er als Restaurator in der namhaften Londoner Werkstatt „J. & A. Beare“ mit. Neben zahlreichen anderen Wettbewerbserfolgen erhielt Jan Spidlen im Jahr 2003 für zwei Violinen, mit denen er an dem Geigenbauwettbewerb in Cremona, der Cremoneser Triennale teilnahm, den ersten und zweiten Preis sowie drei zusätzliche Auszeichnungen für besondere klangliche und optische Vorzüge; mehr Preise hatte niemals zuvor ein Geigenbauer gleichzeitig in Cremona erhalten. Dieser enorme Erfolg war es wohl auch der entscheidende Impuls, der Jan Špidlen die bis heute ungebrochene Flut an Aufträgen einbrachte – wenn diese ihm auch, wie schon erwähnt, leider nur wenig Zeit für Experimente übrig lässt.
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