Zeitgenössische Geigenbauer in Mirecourt

In der historischen Geigenbaustadt Mirecourt lebt die Tradition:
Sechs ausgewählte zeitgenössische Meister im Porträt, die das Erbe ihrer Zunft pflegen

Mirecourt, das historische Zentrum des französischen Geigenbaus, blickt wie seine deutschen und italienischen Pendants auf eine bewegte Geschichte zurück: Ausgehend von den strengen Zunftregeln des 18. Jahrhunderts etablierten sich in der Nachfolge eines Didier Nicolas Instrumenten-Manufakturen, die zwischen 1850 und 1960 den Weltmarkt eroberten. Seither ist es ruhiger geworden in dem beschaulichen, kaum 6.000 Einwohner zählenden Vogesenstädtchen – das seine besten Traditionen aber keineswegs vergessen hat: Über die Sammlung des Geigenbaumuseums Musée de la Lutherie et de l'Archèterie Françaises hinaus pflegen die École Nationale de Lutherie als Ausbildungsstätte und exzellente Meister und Geigenbauer eine alte Kunst auf der Höhe unserer Zeit.
Gute Nachrichten aus Mirecourt, in fünf Porträts ausgewählter zeitgenössischer Geigenbauer:

Übersicht:

Jean-Philippe Cognier

Eine unscheinbare, kleine Tafel aus Plexiglas neben dem Eingang stellt die Werkstatt der Geigenbauer Jean-Philippe Cognier und Roland Terrier in einen großen historischen Zusammenhang: Kein Geringerer als Nicolas Augustin Chappuy lebte und arbeitete in ihrem Haus, damals in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Jean-Philippe Cognier kam 1955 in Auxerre zur Welt und besuchte von 1972 an die erst zwei Jahre zuvor gegründete Geigenbauschule in Mirecourt, wo er 1975 sein Diplom erwarb. Die Position des Maître d´Atelier hatte zu diesem Zeitpunkt René Morizot inne. Anschließend arbeitete Jean-Philippe Cognier ein Jahr lang bei der „Societé Française de Lutherie“ (Sofraluth) in Mirecourt. Nach einem kurzen Praktikum bei Jean Bauer in Angers wurde er 1976 erster Assistent von René Quenoil in Paris; bis 1980 konnte er hier seine Kenntnisse im Bereich Restauration vertiefen. Im selben Jahr eröffnete er mit Roland Terrier, der ebenfalls Assistent bei René Quenoil gewesen war, die gemeinsame Werkstatt in Mirecourt – anfangs in der Rue Germini, zogen sie 1987 an besagten historischen Ort in der Rue Chanzy. 1990 avancierte Cognier schließlich selbst zum Maître d´Atelier an der Mirecourter Geigenbauschule, und war von Juni 2004 bis Juni 2006 Präsident der Vereinigung „Groupement des Luthiers et Archetiers d´Art de France“ (GLAAF).

Roland Terrier

Der Mirecourter Geigenbauer Roland Terrier wurde 1956 in Bourg-en-Bresse geboren. Wie sein späterer Partner Jean-Philippe Cognier absolvierte auch Roland Terrier von 1972 bis 1975 seine Ausbildung an der Geigenbauschule in Mirecourt unter René Morizot. Nach dem Abschluss unterstützte er seinen Lehrmeister zwei Jahre lang als Assistenzprofessor, wobei er sich intensiv mit dem Instrumentenneubau befasste. Von 1977 bis 1980 bildete er sich bei René Quenoil in Paris im Bereich von Reparatur- und Restaurationsarbeiten weiter und lernte dabei eine große Zahl antiker Instrumente kennen, die das namhafte Atelier durchliefen. 1980 kehrte Roland Terrier nach Mirecourt zurück, um dort mit seinem früheren Kommilitonen und Kollegen Jean-Philippe Cognier eine gemeinsame Werkstatt zu gründen – in der er seitdem eine große Zahl von Lehrlingen ausgebildet hat. Als Mitglied des Stadtrats, wo er sich für die Einrichtung des Geigenbaumuseums einsetzte, und als Schatzmeister der Vereinigung GLAAF engagiert sich Roland Terrier aktiv für die Belange seiner Wahlheimat und seiner Kunst – und gilt als einer der besten Kenner der Mirecourter Geigenbaugeschichte, die er mit Leidenschaft erforscht.

Jean-Jacques Pagès

Obwohl 1948 in Paris geboren, absolvierte der Geigenbauer Jean-Jacques Pagès seine Ausbildung zum Geigenbauer nicht etwa in seinem Heimatland, sondern, von 1966 an, an der Geigenbauschule in Mittenwald. Anschließend kehrte er in seine Heimatstadt zurück, um für ein Jahr in der renommierten Werkstatt von Étienne Vatelot zu arbeiten; dieser empfahl ihn daraufhin seinem eigenen Lehrmeister Jean Eulry in Mirecourt. Nach zweieinhalb Jahren, die Jean-Jacques Pagès dort verbrachte, kehrte er noch einmal zurück zu Vatelot und war in dessen Atelier zunächst als Mitarbeiter, später als Werkstattleiter tätig. Sieben Jahre lang konnte er hier seine Fähigkeiten vertiefen und seinen eigenen Stil entwickeln, um sich 1977 in Mirecourt selbständig zu machen – und am Geburtsort der französischen Geigenbautradition seinen Beitrag zu ihrer Weitergabe zu leisten. Jean-Jacques Pagès kann auf zahlreiche Auszeichnungen, beispielweise beim Geigenbauwettbewerb in Mittenwald, sowie eine große Anzahl von Lehrlingen zurückblicken, die sich im Laufe der Zeit in seine Obhut begaben. Von 1998 bis 2001 war Jean-Jacques Pagès Präsident der Geigenbauervereinigung GLAAF, 2003 gründete er die Privatschule „École Internationale de Lutherie d´Art Jean-Jacques Pagès“. Vom Gedanken an den Ruhestand noch weit entfernt, beschäftigt sich Jean-Jacques Pagès aktuell mit dem Bau von Gamben und anderen historischen Instrumentenmodellen.

Dominique Nicosia

Auch der Mirecourter Geigenbauer Dominique Nicosia genoss einen Teil seiner Ausbildung bei Étienne Vatelot, nachdem er unter René Morizot an der Mirecourter Geigenbauschule studiert hatte. Außergewöhnliche Erfahrungen sammelte Dominique Nicosia während des 16 Monate dauernden Wehrdienstes, der seiner vierjährigen Lehre bei Vatelot folgte: Denn als freiwilliger Mitarbeiter in der Werkstatt für Instrumentenneubau und Restauration an der Musikakademie von Polynesien in Tahiti gelang es Dominique Nicosia, auch in dieser kunstfernen Zeit bei seiner Sache zu bleiben. Zurück auf dem französischen Festland beschloss Dominique Nicosia, an den Ort zurückzukehren, an dem sein Werdegang begonnen hatte; seitdem ist er als Maître d´Atelier an der Geigenbauschule in Mirecourt beschäftigt. Diese Lehrtätigkeit hat, wie er erklärt, einen höchst befruchtenden Einfluss auf seine Arbeit als Geigenbaumeister, der er zusätzlich in seiner Werkstatt in der Rue du Fond de Janiveau nachgeht. Neben hochwertigen Streichinstrumenten unternimmt Dominique Nicosia hier auch inspirierende Ausflüge in die Metallbearbeitung und fertigt für sich und für Kollegen geschmackvolle Werkzeuge zum Instrumentenbau. Beim „Concours Etienne Vatelot“ 2004 erhielt er den von der Vereinigung GLAAF verliehenen Spezialpreis für „Persönlichkeit und Reife“ für eine Viola.

Gilles Duhaut

Repräsentativ für die große Bogenmachertradition von Mirecourt steht in unserer Auswahl der Name des Geigenbauers Gilles Duhaut. Der 1957 in Cirey-sur-Vezouze geborene Meister begann seine Laufbahn als Schüler der Mirecourter Geigenbauschule, wo er von 1972 bis 1976 unter dem berühmten Bernard Ouchard die Grundbegriffe seines Handwerks erlernte. Anschließend verbrachte Gilles Duhaut eine sechsmonatige Lehrzeit bei Jacques Camurat in Paris, einem Schüler von Jean Bauer, Marcel Vatelot und Amédée Dieudonné, der in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren zu einer einflussreichen Persönlichkeit des französischen Geigenbaus avancierte. Zurück in Mirecourt fand Gilles Duhaut Aufnahme als Mitarbeiter in Ouchards eigener Werkstatt, die er 1978 noch einmal verließ, um drei Jahre lang den hochbetagten Paul Didier in Metz zu unterstützen. Im darauffolgenden Jahr machte sich Gilles Duhaut in Mirecourt selbständig, wo er bis zu seinem Umzug nach Tours 2012 bleiben sollte. Zu Gilles Duhauts Kunden zählen Mitglieder bekannter Orchester sowie Solisten aus aller Welt, unter anderem Misha Maisky, Yuri Bashmet oder Franz Helmerson – aber auch Jazzmusiker wie der bekannte Didier Lockwood, mit dem Duhaut gemeinsam ein besonderes Bogenmodell für Jazzmusiker entwickelt hat: Es zeichnet sich durch eine spezielle, an die Anforderungen heutiger E-Geigen angepasste Gewichtsverteilung und ein modernes Design aus.

Alain Carbonare

Ein reich verziertes Cello mit Diamanten, Blattgold und aufwändigen Intarsien: Keinen geringeren als Mstislaw Rostropowitsch ehrte der Mirecourter Geigenbauer Alain Carbonare mit dieser prachtvollen Arbeit, gebaut zum 70. Geburtstag des berühmten Cellisten. Seit 1987 wirkt Alain Carbonare in Mirecourt, und führt seine Werkstatt an einer traditionsreichen Adresse, dem einstigen Haus Jean-Baptiste Vuillaumes. Seine Leidenschaft für den Geigenbau entbrannte bereits in seiner Jugend, als er Yehudi Menuhin im Konzert erlebte. Tief beeindruckt schwor er sich, eines Tages für diesen großen Musiker eine Violine zu bauen – ein Vorhaben, das der junge luthier Alain Carbonare wenige Jahre später in die Tat umsetzte, und mit seiner Geige beim Maestro Anerkennung fand. Auch andere weltberühmte Künstler wie Vladimir Spivakov und Grigory Zhislin spielten bereits auf Alain Carbonares Instrumenten, die über die Spivakov-Stiftung jungen russischen Nachwuchstalenten zur Verfügung gestellt werden. Angesichts seines lebendigen Interesses für die Musik und seiner vielseitigen Begabungen verwundert es nicht, dass Alain Carbonare zu der Klasse von Geigenbauern gehört, die auch jenseits der Grenzen ihrer Kunst Erfolge feiern. Für das Musikprojekt „Wurtemberg“ bzw. die daraus hervorgegangene CD-Produktion „Rock Fantasia Opus 9“ mit von Alain Carbonare komponierten Instrumentalstücken, auf der er auch als Musiker zu hören ist, erhielt er 1981 den „Grand Prix du Disque“ des Montreux-Festivals.

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